Sicherheit und Gesundheitsschutz in der beruflichen Grundbildung
Wenn Jugendliche gefährliche Arbeiten lernen und ausführen müssen
(Anhang 2 zum Bildungsplan)
In der Schweiz verunfallen jedes Jahr rund 25'000 Lernende – das entspricht etwa jeder achten lernenden Person (Quelle: SUVA). Diese Zahl verdeutlicht: Die Sicherheit und der Gesundheitsschutz in der beruflichen Grundbildung sind keine Nebenschauplätze, sondern zentrale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausbildung.
Körperlich und psychisch befinden sich Jugendliche in einer sensiblen Entwicklungsphase. Das Arbeitsgesetz (ArG) sowie die Jugendarbeitsschutzverordnung (ArGV 5) stellen deshalb klar: Gefährliche Arbeiten sind für Minderjährige grundsätzlich verboten. Doch wie lässt sich dieser Schutz mit einer praxisnahen Berufsbildung vereinbaren, in der Jugendliche notwendigerweise lernen müssen, mit Maschinen, Chemikalien oder risikobehafteten Situationen umzugehen?
Die gesetzliche Grundlage
Artikel 4 der Verordnung 5 zum Arbeitsgesetz (ArGV5, Jugendarbeitsschutzverordnung) hält fest:
«Als gefährlich gelten alle Arbeiten, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet werden, die Gesundheit, die Ausbildung und die Sicherheit der Jugendlichen sowie deren physische und psychische Entwicklung beeinträchtigen können.»
Solche gefährliche Arbeiten sind – ausser es liegen begründete Ausnahmen vor – verboten.
Genau hier setzt ein bewährtes Instrument der Schweizer Berufsbildung an: Die begleitenden Massnahmen zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz (Anhang 2 zum Bildungsplan).
Ein Balanceakt zwischen Schutz und Praxis – Ausnahmen mit Verantwortung und Verpflichtung für Lehrbetriebe
In Berufen wie in der Lebensmitteltechnologie, dem Gesundheitswesen oder dem Baugewerbe ist es unumgänglich, dass Lernende auch mit potenziell gefährlichen Substanzen, Maschinen oder physikalischen Belastungen arbeiten.
In solchen Fällen kann das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) – auf Antrag der OdA und mit Zustimmung des SECO – eine Ausnahmebewilligung erteilen. Die Bedingung: Im Anhang 2 des jeweiligen Bildungsplans müssen konkrete begleitende Massnahmen verankert sein.
Diese umfassen:
- Schulung, Anleitung und Überwachung durch qualifizierte Fachkräfte im Betrieb
- Ergänzende Sicherheitsinstruktionen in überbetrieblichen Kursen (ÜK) oder Berufsfachschulen
Die Lehrbetriebe sind verpflichtet, diese Massnahmen umzusetzen – verantwortungsvoll, vorausschauend und konsequent.
Diese Massnahmen stehen sinnbildlich für das Prinzip der Verantwortung in der Berufsbildung: Jugendliche sollen geschützt, aber nicht entmündigt werden. Sie sollen den sicheren Umgang mit Risiken erlernen – nicht auf Kosten ihrer Gesundheit, sondern mit pädagogischer und betrieblicher Begleitung.
Was gilt als gefährlich?
Folgende Tätigkeiten (keine Garantie auf Vollständigkeit) gelten gemäss Gesetz* als gefährlich und sind für Jugendliche grundsätzlich verboten – sofern keine Ausnahme mit Schutzmassnahmen vorliegt:
- Psychisch belastende Arbeiten
- Akkordarbeit oder Arbeit unter konstantem Zeitdruck
- Tätigkeiten mit hoher Verantwortung oder dauerhafter Aufmerksamkeit
- Arbeiten in unvorhersehbaren Situationen
- Körperlich belastende Arbeiten
- Heben und Tragen schwerer Lasten (je nach Alter und Geschlecht über 15–19 kg)
- Wiederholte oder monotone Bewegungen
- Zwangshaltungen (z. B. kniend, über Kopf, gebückt >2 Std./Tag)
- Physikalisch gefährdende Arbeiten
- Arbeiten bei Hitze >30 °C oder Kälte <0 °C
- Umgang mit heissen Medien oder tiefkalten Flüssigkeiten
- Lärmbelastung >85 dB(A)
- Arbeiten mit chemischen oder toxischen Stoffen
- Kontakt mit ätzenden, entzündbaren oder giftigen Stoffen
- Stoffe mit Gefahrenkennzeichnungen (z. B. H314, H330, H220)
- Inhalations-, Haut- oder Explosionsrisiken
- Arbeiten mit gefährlichen Maschinen und Arbeitsmitteln
- Maschinen mit ungeschützten, beweglichen Teilen
- Tätigkeiten ohne Sicherheitsvorrichtungen
- Umgang mit Hebebühnen, Kransystemen, Rollbahnen etc.
- Arbeiten mit Absturzgefahr
- Arbeiten auf Leitern, Gerüsten oder Podesten ohne Sicherung
- Tätigkeiten über Öffnungen oder rutschigen Böden
- Arbeiten in engen oder schlecht belüfteten Räumen
- Reinigung von Silos, Tanks, Schächten
- Aufenthalt in Räumen mit Sauerstoffmangel oder Explosionsgefahr
*Quelle: Wegleitung zur WBF-Verordnung über gefährliche Arbeiten für Jugendliche
Und jetzt? Verantwortung übernehmen – Sicherheit sicherstellen
Die begleitenden Massnahmen zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz sind keine bürokratische Pflichtübung, sondern Ausdruck einer Berufsbildung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt – in seiner Entwicklung, seiner Schutzbedürftigkeit, aber auch in seinem Potenzial. Denn nur wer sich sicher fühlt, kann auch sicher lernen und wachsen.
- Deshalb, bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit und prüfen Sie, ob die in Ihrer beruflichen Grundbildung im Anhang 2 zum Bildungsplan definierten Massnahmen in Ihrem Betrieb konsequent umgesetzt werden. Sind die Schulungen dokumentiert? Werden die Lernenden eng begleitet? Ist das Bewusstsein für Sicherheit und Prävention im Team verankert?
- Falls Sie sich dabei Unterstützung wünschen:
Wir begleiten Lehrbetriebe bei der Überprüfung, Umsetzung und Optimierung der begleitenden Massnahmen gemäss Anhang 2 – Damit die Sicherheit junger Menschen kein Zufall, sondern gelebter Teil einer verantwortungsvollen Ausbildungskultur ist und Sie Ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen können.





